Märchen
Wir möchten Ihnen hier zwei Märchen aus Guinea vorstellen.
Der Hase im Reich der Tiere des Dschungels
Es war einmal eine große Dürrezeit im Reich der Tiere des Dschungels. Alle Quellen waren versiegt, alle Bäche und Flüsse trocken. Da versammelten sich die Tiere, um zu beraten, was gegen die Wassernot getan werden könnte. Sie vereinbarten, alle Feindseligkeiten untereinander zu beenden und ein tiefes Wasserloch zu graben, damit sie wieder Wasser hätten.
Auch der Hase lebte im Reich der Tiere des Dschungels. Aber er fand es nicht richtig, dass er bei der schweren Arbeit am Wasserloch mithelfen sollte, denn er war bei weitem nicht so groß und kräftig wie die übrigen Tiere. Als die Tiere erfuhren, dass der Hase nicht mitarbeiten wollte, sagten sie erbarmungslos:“Dann wirst du auch kein Wasser trinken, wenn die Wasserstelle fertig ist.“
Da lachte der Hase und antwortete: „Ich trinke Wasser, wann immer ich will, denn ich kann überall genug Wasser finden. Ich bin ja nicht so groß und durstig wie ihr Elefanten, Tiger und Löwen.“
Nach sieben Tagen hatten die Tiere des Dschungels ein tiefes Loch gegraben und waren auf eine Wasserquelle gestoßen, die so ergiebig war, dass sich schnell das ganze Wasserloch bis weit über den Rand mit frischem Wasser füllte. Die Tiere freuten sich so sehr, dass sie sogleich beschlossen, ein großes Fest zu feiern. Nur der Hase sollte nicht mitfeiern dürfen.
Nach ein paar Tagen kam der Hase aus dem Wald hervor und blieb in einiger Entfernung von dem Wasserloch stehen, das jetzt der Lieblingstreff der Tiere war. Er trug eine Trommel, und er trommelte und sang dazu. Das klang so:
„Peh-peh, pere-pere peh! Nanima!
Tiere sind sich einig geworden – Nanima! -,
eine neue Wasserstelle zu bauen.
Pere-pere peh! Nanima!
Ein Wasserloch wurde gegraben.
Pere-pere peh! Nanima!
Der Hase hat nicht mitgeholfen!
Pere-pere peh! Nanima!“
Den ganzen Tag sang und trommelte er so. Als er dann Durst bekam und in den Wald zurückging, um Wasser zu trinken, fand er nirgendwo Wasser, denn alle Wasserlöcher waren ausgetrocknet. Es war heiß, und der Durst quälte ihn sehr. Die übrigen Tiere dagegen waren gut versorgt, denn an der neuen Wasserstelle hatten sie Wasser im Überfluss.
Es war Abend geworden, und der Hase fing wieder mit seiner Musik an und sang:
„Peh-peh pere-pere peh! Nanima!
Die Tiere sind sich einig geworden
– Pere-pere peh! Nanima! -,
ein Wasserloch zu graben.
Pere-pere peh! Nanima!
Der Hase hat nicht mitgeholfen.
Pere-pere peh! Nanima!
Er näherte sich ganz langsam der Wasserstelle und sang und trommelte dabei unaufhörlich. Die Tiere, die im frischen Wasser badeten, sahen den Hasen kommen. Seine Musik hatte sie neugierig gemacht, und sie wollten wissen, was für ein Instrument die Trommel wohl wäre.
Schließlich wurden sie immer neugieriger, denn die Trommelmusik und der Gesang des Hasen gefielen ihnen. Der Hase sang und trommelte ohne Unterlass. Seine Musik war so eingängig, dass die Tiere anfingen zu tanzen und im Chor seinen Gesang wiederholten:
„Die Tiere sind sich einig geworden!
Peh-peh pere-pere peh! Nanima!
Der Hase hat beim Graben nicht mitgeholfen!
Pere-pere peh! Nanima! Komm näher, mein kleiner Bruder!
Komm näher zu uns heran!“ Nanima!
So sangen die Tiere und tanzten dazu, während der Hase immer fleißiger trommelte, bis in die späte Nacht. Zum Schluss waren die Tiere so begeistert vom Unterhaltungstalent des Hasen, dass sie ihn zum Wächter der Wasserstelle bestimmten.
Der Hase aber freute sich sehr, denn es war ihm gelungen, sein Leben zu retten und von allen geachtet und geschätzt zu werden.
Der Jäger, der seine Frauen ungleich behandelte
Es war einmal ein Jäger, der war zu seiner Zeit und in seinem Land der berühmteste aller Jäger, denn er hatte nie auf Kosten der kleinen und schwachen Tiere gejagt, und er verstand es, im Wald immer auf große und starke Opfer zu stoßen. Deshalb kannten ihn auch alle Tiere des Waldes.
In seinem Haus lebte er mit zwei Hunden, die er Kitimiri und Duramani nannte; und er hatte zwei Frauen, aber die erste Frau war seine Lieblingsfrau. Die zweite fühlte sich zu wenig geliebt und unrecht behandelt. Deshalb war sie selten zu Hause.
Eines Tages wollte die zweite Frau ihm eine Lektion erteilen. Sie hatte Böses im Sinn, denn sie ging in den Wald und verbündete sich mit den größten Tieren: mit den Panthern, Löwen, Tigern, Wölfen und Elefanten. Danach täuschte sie ihren Mann, indem sie vorgab, seine beiden Hunde seien krank. In Wirklichkeit hatte sie die Tiere zwei Tage lang ohne Futter eingesperrt.
Der Jäger glaubte, dass seine Hunde krank seien. Und er ließ sein Gewehr zu Hause, als er sich zu einem Ausflug in den Wald begab. Entgegen seiner Gewohnheit blieb er immer auf dem Waldweg, denn er wollte möglichst keinem wilden Tier begegnen.
Nach zwei Stunden kletterte er auf einen Baum, machte es sich auf einem großen Ast gemütlich und fing an zu singen. Das hörte ein Tiger, der sich ganz unbemerkt heranschlich. Als er gesehen hatte, dass es der Jäger war, mit dessen zweiter Frau sich die wilden Tiere verbündet hatten, eilte er zu seinen Tigerkollegen, um sie zu informieren. Unterwegs traf er zuerst den Panther und dann den Wolf.
Sobald der Wolf von dem Jäger gehört hatte, rief er mit seiner scharfen Stimme in den Wald hinein nach den Tieren. Zehn Minuten später waren alle Tiere, mit denen sich die Frau verbündet hatte, versammelt. Unter dem Kommando des Tigers rückten sie gegen den Jäger vor, der immer noch auf dem Baum saß.
Als der Jäger das erste Tier erblickte, war es für ihn zu spät, um zu fliehen. Da er keine Waffe und auch seine Jagdhunde nicht dabei hatte, blieb ihm nur seine Stimme, um Hilfe zu rufen. Er rief seine beiden Hunde mit einem Gesang, der so klang: „Kitimiri, yo! Duramani, yo! „Kitimiri, yo! Duramani yo! Die wilden Tiere töten mich, Durumani, yo! Die Tiger töten mich, Durumani, yo! Die Löwen töten mich, Duramani y! Kitimiri! Durumani! Yo, yo! Durumani!“
Sein Rufen wurde von den Affen gehört, die sogleich loseilten, um die wilden Tieren zu unterstützen, denn die Affen können besonders gut klettern.
Der Ort des Geschehens war sieben Kilometer vom Dorf entfernt. Als die Hunde die rufende Stimme ihres Herrn hörten, waren sie in ihrer Hütte eingesperrt, und es war niemand da, der sie hätte befreien können. Inzwischen hatten sich die wilden Tiere unter dem Baum versammelt. Die einen kletterten am Baum in die Höhe, die anderen machten sich über die Wurzeln des Baumes her, um ihn zu fällen. Mit ihren scharfen Zähnen war es ihnen schon bald gelungen, die äußeren Wurzeln zu durchtrennen. Dann kam die Hauptwurzel an die Reihe.
Immer noch waren die Hunde des Jägers in der Hütte gefangen. Doch die Lieblingsfrau des Jägers kam gerade nach Hause und hörte das Bellen der Hunde. Als sie sah, dass ihr Mann nicht zu Hause war, verstand sie sofort, dass die Hunde ihrem Mann zu Hilfe eilen wollten. Sie öffnete ihnen das Tor und ließ sie hinaus. Obwohl sie vom Hunger geschwächt waren, rasten sie so schnell sie konnten den bekannten Waldweg entlang, um ihrem Herrn zu helfen.
Sie kamen gerade rechtzeitig bei ihrem Herrn an, denn es fehlte nur noch wenig, und der Baum wäre gefällt worden. Wütend stürzten sie sich auf die bösenTiere und bissen, was sie zu fassen kriegten. Unter lautem Bellen verjagten sie die großen Tiere, den Tiger, den Elefanten und den Panther, bis sie endlich ihren Herrn befreit hatten.
Der Jäger kam vom Baum herunter, dankte seinen treuen Hunden für die Errettung vor dem Tode und ging mit ihnen zum Dorf zurück. Dort erklärte er seiner Familie, was ihm im Walde widerfahren war.
Die zweite Frau sagte daraufhin: „Es hat noch gar nicht angefangen mit den Angriffen gegen dich! Solange Du mich in Deinem Hause nicht genügend anerkennst und gleichberechtigt behandelst, wirst du von allen Tieren bedroht bleiben!“
Da verstand der Jäger, dass jeder Mensch frei ist, sein Recht zu verteidigen. Von diesem Tage an behandelte er seine beiden Frauen gleich.